1 Timotheus 4: 4-5
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen. AMEN.
Unser Predigttext heute stammt aus dem 1. Timotheusbrief 4:4-5
“Denn alle Kreatur Gottes ist gut, und nichts ist verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“
Liebe Gemeinde,
Am heutigen Erntedankfest sind wir der Kernaussage bewusst: “Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn!” oder auch hier im 1. Timotheusbrief 4:4 “Denn alle Kreatur Gottes ist gut, und nichts ist verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird.“
In diesem Leben gibt es zwei gleichermaßen extreme Lebensauffassungen: die erste, ein Leben der Extravaganz, das nur auf Selbstbefriedigung abzielt, oder zweite, ein streng asketisches Leben, das den Menschen verbietet, sich an Gottes Schöpfung zu erfreuen. Es scheint, dass der Kontext, in dem Paulus in seinem ersten Brief an Timotheus schrieb, den zweiten Kontext hat.
Es gibt bestimmte ‘religiöse’ Menschen, die große Angst davor haben, Gottes Segen in der Schöpfung zu genießen. Das sind gute Menschen, die Angst davor haben, dass sie sich von Gott selbst distanzieren, wenn sie Gottes Segen zu sehr genießen. Eine edle Absicht natürlich! Dennoch liegt das Schöne an der reformatorischen Spiritualität darin, dass wir Gottes Segen genießen können, was zu einer immer tieferen Haltung der Anbetung Gottes führt.
Es geht hier nicht um ein streng asketisches Leben, sondern vielmehr um das Fest der guten Schöpfung Gottes. Es gibt also keine unreinen Lebensmittel. Gott schafft Nahrung für die menschlichen Bedürfnisse.
Nun, leider sind wir in der heutigen Zeit weniger in der Lage, die Schönheit dieses Erntedankfestes zu schätzen, da mittlerweile alle Lebensmittel in Supermärkten gekauft werden können. Alle oder fast alle sind jederzeit verfügbar. Wir scheinen die Schönheit des besonderen Moments der Erntefeier zu verpassen. Korrigieren Sie mich, oder ergänzen Sie mein Wissen, wenn ich falsch liege (aber dann erst nach dem Gottesdienst).
“Ein jegliches hat seine Zeit, alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde,“ schrieb der Prediger. Säen und ernten hat seine Zeit. Was ist daran wichtig mit solcher Zeitunterscheidung, oder besser gesagt, Zeitsensibilität?
Ich glaube, dass wir demütig erkennen, dass unsere Zeit nicht in unseren Händen, sondern in Gottes Händen steht. „Gott tut alles fein zu seiner Zeit.“ Erntezeit ist fein, aber die Aussaatzeit, die Zeit zum Säen ist auch fein. Oft neigen wir nur dazu, das Endergebnis zu schätzen, aber Gott will, dass wir auch lernen, die Lebensprozesse anzunehmen, ja, sogar zu würdigen und zu schätzen. Gott ist nicht nur Gott des Endergebnisses; er ist auch derjenige, der uns auf dem ganzen Weg begleitet.
Heute ist das Erntedankfest; morgen ist vielleicht schon wieder die Zeit zum Säen. So ist das Leben ein Wechsel von einer Jahreszeit zur anderen. Wenn die Aussaatzeit wieder kommt, sollen wir noch einmal auf die Erntezeit geduldig warten. “Ein Ackermann wartet auf die köstliche Frucht der Erde und ist geduldig darüber, bis er empfahe den Morgenregen und Abendregen” (Jakobus 5:7).
Auch die Geduld selbst ist eine köstliche Frucht des Geistes. Und gerade deshalb sollten wir die Feinheit dieses Lebens nicht darauf reduzieren, nur das Ende zu feiern, denn auch Gott freut sich auf dem Weg mit uns. Er freut sich auch darüber, dass wir auf dem Weg geduldiger werden, Christus ähnlich werden.
Nun, zurück zum 1. Timotheusbrief 4: “nichts ist verwerflich, das mit Danksagung empfangen wird.“ Das ist es, was uns vor der Sünde bewahren wird, die Kreatur zu vergöttern, oder vor der Sünde, Gottes Kreatur exzessiv zu genießen: unsere Danksagung. Denn mit Danksagung betrachten wir die Natur als Gottes Schöpfung, und wenn wir die Gaben der Natur empfangen, empfangen wir sie aus Gottes guten Händen. Weit davon entfernt, die Natur zu vergöttern, werden wir sogar ermutigt, Gott mehr anzubeten.
Es ist nicht so, dass Danksagung magische Kräfte besitzt, um die Nahrung zu heiligen, denn die Nahrung ist ja durch Gottes Schöpfungsakt bereits rein. Vielmehr schreibt ein Bibelausleger: „Ein Dankgebet bestätigt im Einzelnen lediglich Gottes vorheriges Handeln, nämlich Nahrung für alle zuzubereiten.“
Daher ist Danksagung eine demütige Anerkennung dessen, was Gott für uns getan hat. Es steht im Widerspruch zu der Lebensanschauung, dass wir alle guten Dinge in diesem Leben verdienen, weil wir bereits hart dafür gearbeitet haben. Wir haben vielleicht hart gearbeitet, aber das Gute in diesem Leben ist ein Geschenk Gottes.
Deshalb haben wir die Warnung aus 5. Mose 8:17–18 gelesen:
“Du könntest sonst sagen in deinem Herzen: Meine Kräfte und meiner Hände Stärke haben mir diesen Reichtum gewonnen. Sondern gedenke an den Herrn, deinen Gott; denn er ist’s, der dir Kräfte gibt, Reichtum zu gewinnen, auf dass er hielte seinen Bund, den er deinen Vätern geschworen hat, so wie es heute ist.”
Wir haben diesen Reichtum nie verdient. Und je mehr wir erkennen, dass wir es nicht verdienen, desto tiefer wird unsere Dankbarkeit vor Gott sein. Es ist einfach oder leicht für Gott, uns zu segnen. Was er jedoch will ist dass wir erkennen, dass Gott ein Gott ist, der seinen Bund mit seinem Volk treu hält.
Die Versuchung besteht darin, dass unsere Herzen sich überheben und wir den Herrn, unseren Gott, vergessen. Wie wichtig ein Sonntagsgottesdienst im Zusammenhang mit dem Erntedankfest ist, kann gar nicht genug betont werden, denn hier bringen wir diese Liturgie der Danksagung vor Gott, in der Hoffnung, dass auch unser tägliches Leben von derselben Liturgie der Danksagung geprägt sein wird. Im christlichen Leben geht es nicht um Selbsterrungenschaft, Selbsterfüllung oder Selbstverwirklichung. Vielmehr geht es im christlichen Leben darum, demütig aus den lieben Händen unseres Schöpfers zu empfangen.
Das Lebens des Empfangens gilt sowohl für unser tägliches Leben als auch für die von Gott geschenkte Erlösung. Hier gibt es kein Dualismus. Dass die Erlösung keine menschliche Anstrengung, sondern eine Gabe Gottes ist, sollte uns ganz klar sein. Gott will aber dass wir dieses Leben des Empfangens in unserem Alltag genauso klar in unseren Herzen verinnerlichen.
Deshalb haben wir hier Brot und Wein. Brot und Wein sollen uns nicht fremd sein, denn sie enstammen ja unserem Alltag. Damit will Gott uns sagen, dass nicht nur unsere geistliche Erlösung, der Leib und das Blut Christi, ganz aus Gnade ist, sondern auch die beiden Elemente, die beiden Zeichen, die auf die Realität der Erlösung hinweisen, das Brot und der Wein, eine Gabe der Schöpfung sind, das heisst, aus der Hand des Schöpfers kommen.
In seinem Büchlein Was geht vor beim Abendmahl erklärt Michael Welker:
Wir danken Gott nicht nur für Brot und Wein als Gaben der Schöpfung. Wir danken Gott nicht nur, wie Menschen Gott vor einer Mahlzeit danken. Die Danksagung ist umfassender. Im Abendmahl danken wir dem Schöpfer nicht nur für die Nahrung, die den Körper sättigt. Über die körperliche Befriedigung hinaus konzentrieren wir uns auf die Bedeutung der Gaben der Schöpfung, der Elemente. Die Gaben der Schöpfung sind wahre Zeichen des Friedens und einer wohltuenden Ordnung. Menschen und andere Geschöpfe, Natur und Kultur müssen kreativ zusammenarbeiten, damit Brot und Wein an den Tisch kommen, und zwar an den Tisch des Herrn.
Welker will den relationalen, ja sogar versöhnlichen Charakter des gemeinsamen Verzehrs der Gaben der Schöpfung hervorheben. Das Brot und der Wein kommen nicht von alleine auf den Tisch.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich betone nicht, dass es verdienstvolle Menschen gab, die dieses heilige Abendmahl vorbereitet haben. Das ist auch wichtig, aber nein, was wir hervorheben ist vielmehr, dass dieses heilige Abendmahl nicht stattfinden kann, wenn wir nicht auf die Bedeutung friedlicher Beziehungen und eines liebevollen Umgangs miteinander achten. Ohne all diese Dinge gäbe es keine Tischgemeinschaft.
Daher besteht ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Anerkennung der Gaben der Natur als Gaben Gottes und einem friedlichen Zusammenleben.
Ebenso bringt der Tod Christi am Kreuz Versöhnung in das konfliktreiche Leben des Menschen: Versöhnung zwischen Menschen und Gott, zwischen Menschen untereinander und sogar zwischen Menschen und anderen Geschöpfen.
Was wird passieren, wenn wir keine Versöhnung mit dem Rest der Schöpfung finden? Ohne Versöhnung tendieren wir den Rest der Schöpfung zu vergöttlichen. Im Kontext von Brot und Wein denken wir, dass es im Leben nur um das leibliche Genus am Essen und Trinken geht. Körperliche Befriedung ist alles! Es gibt keinen Gott hier und damit auch keine Danksagung!
Was wird passieren, wenn wir keine Versöhnung mit Gott und mit anderen Mitmenschen finden, brauche ich nicht in allen Einzelheiten zu erklären. Ohne Versöhnung mit Gott bleiben das Brot und der Wein nur Brot und Wein. Hier gibt es kein geistliches Essen und geistliches Trinken, kein Zugang zu dem heiligen Leib und Blut Jesu Christi. Kein geistliches Ereignis, nur purer Materialismus, Naturalismus!
Zu 1. Timotheus 4:5 und mit dem argumentum a minore ad maius legte Calvin aus:
Und wenn eine solche Heiligung in Bezug auf die gemeinsame Nahrung gefordert wird, die zusammen mit dem Magen der Verderbnis unterliegt, was sollten wir dann über geistliche Sakramente denken? Wenn „das Wort“ und die Anrufung Gottes durch den Glauben nicht da sind, was bleibt dann übrig, was nicht entweiht ist? Hier müssen wir auf den Unterschied zwischen der Segnung des Sakramententisches und der Segnung eines gemeinsamen Tisches achten; denn was die Nahrung betrifft, die wir zur Ernährung unseres Körpers zu uns nehmen, segnen wir sie zu diesem Zweck, damit wir sie auf reine und rechtmäßige Weise erhalten; aber wir weihen das Brot und den Wein im Abendmahl auf feierlichere Weise, damit sie für uns Pfand des Leibes und Blutes Christi seien.
Wenn wir also das Brot und den Wein mit Danksagung empfangen, dann bekennen wir auch dass unser geistliches Leben von Gottes Gnade und Barmherzigkeit abhängig ist. Wir geben uns Gott zu einem lebendigen Dankopfer hin, wie der Heidelberger Katechismus uns lehrt, weil Christus uns zuerst mit dem einmaligen Opfer seines Leibes erlöst hat. Redemptus sum ergo me exhibemo. Ich bin erlöst, also gebe ich mich hin.
Wie Jesus, der über Brot und Wein dankte und sie brach, so wird Danksagung uns auch helfen, den Mut zu wagen, unser Leben aufzubrechen, um es mit anderen zu teilen. Ohne Danksagung fällt es uns schwer, unser Leben zu teilen. Es gibt Kraft, die Gott uns in der Danksagung gegeben hat, sodass wir den Mut haben, uns zu teilen.
Vers 5: “denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“
Was heisst es, durch das Wort Gottes geheiligt zu werden? In Bezug auf die Schöpfungsgeschichte in Gen 1 bezieht sich “Wort Gottes” hier auf Gottes Aussage, dass die Schöpfung gut ist. Dort heißt es “Und Gott sah, dass es gut war.” Was Gott sagt, ist gut, wir dürfen nicht sagen, dass es böse ist.
Bei diesem Erntedankfest feiern wir nicht nur die Güte der Schöpfung, sondern vor allem die Güte Gottes, der die Schöpfung gut gemacht hat. Wer sich an Gott freut, darf sich auch an seiner Schöpfung freuen.
Der Reformator Johannes Calvin schrieb von einer doppelten Gefahr im Umgang mit den guten Dingen dieses Lebens, nämlich von falscher Strenge und falscher Laxheit. Gegen diejenigen, die eine falsche Strenge befürworten, schrieb Calvin: “Wenn wir nun darüber nachdenken, zu welchem Zweck Gott die Nahrung geschaffen hat, werden wir feststellen, dass er nicht nur für das Nötigste sorgen wollte, sondern auch für Freude und gute Laune.” Andererseits müssen wir natürlich auch aufpassen, dass die Befriedigung durch Essen und Trinken nicht zu unserem Endziel wird. Gottes Segnungen sollen wir nicht nachsichtig nutzen oder gierig nach Reichtum streben, sondern bewusst und fröhlich in unserer Berufung dienen.
Calvin glaubte fest daran, dass der Blick auf den Geber der Gabe Engstirnigkeit und Maßlosigkeit verhindert. Vor Maßlosigkeit warnte er: “Wo ist deine Danksagung, wenn du dich so sehr mit Banketten oder Wein vollgibst, dass du entweder dumm wirst oder für die Pflichten der Frömmigkeit und deines Berufes unbrauchbar wirst?”
Der Schwerpunkt liegt darauf, wie wir das gegenwärtige Leben und seine Hilfe nutzen müssen, um die Erfüllung unserer Berufung zu unterstützen. Die Erfüllung unserer Berufung ist das eigentliche Ziel. Die Gaben der Schöpfung sind nur Mittel, die uns bei der Erfüllung unserer Berufung helfen.
In seinem zweiten Brief an Timotheus erinnerte Paulus Timotheus daran (1:8–9), sich der heiligen Berufung Gottes nicht zu schämen. “Darum so schäme dich nicht des Zeugnisses unsers HERRN…, sondern leide mit für das Evangelium wie ich, nach der Kraft Gottes, der uns hat selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf.“
Diese heilige Berufung durch Gott geschieht „nicht nach unseren Werken, sondern nach dem Vorsatz und der Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu.“
Sowohl Essen und Trinken, als auch unsere Erlösung, als auch unsere Berufung durch Gott, alles ist von Gott durch seine Gnade in Christo geschenkt. Möge unser Leben ein lebendiges Zeugnis der reichlichen Gnade Gottes und unserer Danksagung ihm gegenüber sein. Sola gratia, solus Christus, soli Deo gloria. Amen. (B.K.)